Deutsche Reiterliche Vereinigung
25.06.2023 | 15:15 Uhr | Uta Helkenberg

Special Olympics World Games 2023

Deutsche Reiter*innen sehr erfolgreich / Interview mit Reitsport-Botschafterin Bettina Hoy

Team SOD bei den Special Olympics Berlin 2023. Foto (c) Sylla-Marie Holtkamp-Endemann

Bettina Hoy (2.v.l.) und Frank Busemann mit dem deutschen Athlet*innen und Trainer*innen bei Special Olympics World Games 2023 in Berlin. Foto (c) Sylla-Marie Holtkamp-Endemann

In Berlin sind mit einer großen Abschlussfeier am Sonntag die Special Olympics World Games zu Ende gegangen. Neun Tage lang waren rund 7.000 Athletinnen und Athleten mit geistiger oder mehrfacher Beeinträchtigung in 26 Sportarten am Start Darunter auch zwölf deutsche Reiterinnen und Reiter, die sich am Ende über sage und schreibe 21 Medaillen – neun goldene, zwei silberne und zehn bronzene – freuen durften. Der Hauptgewinn dürfte jedoch die Begegnung mit Menschen aus aller Welt und die große – auch mediale – Aufmerksamkeit gewesen sein, die diese besonderen Athletinnen und Athleten über eine Woche ins Rampenlicht rückten.

Insgesamt beteiligten sich 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 41 Ländern an den Reitwettbewerben, die vier verschiedene Kategorien – Dressur, Equitation (Reiterwettbewerb), Working Trail (Geschicklichkeitsreiten) und Springen – ausgetragen wurden. Jeweils drei davon konnten sich die Teilnehmer*innen aussuchen. Je nach Möglichkeiten und Fähigkeiten wurden die Wettbewerbe auf drei Levels - A bis C - und in verschiedenen Abteilungen ausgetragen.

Gleich am ersten Prüfungstag nach der Zuordnung der Pferde und der Klassifizierung der Athletinnen und Athleten machten Luisa Fußy (28, NRW) und Christian Stickel (57, Baden-Württemberg), beide im Sattel des Fuchswallachs USA Dr. Z, auf sich aufmerksam, als sie die ersten beiden Medaillen für das Team von Special Olympics Deutschland (SOD) gewinnen konnten. Beide starteten in Level C, in dem nur Schritt geritten wird, ebenso wie Marco Sohr (18, Sachsen), dessen Stunde im Geschicklichkeitsreiten schlug, wo er mit Holli die Goldmedaille in seiner Abteilung gewinnen konnte. Doppel-Gold gab es für Mia Wünsch (17, NRW) mit Silva - im Reiterwettbewerb wie im Geschicklichkeitsreiten, in  dem ihre Teamkollegin Alisa Hamzic (26, Baden-Württemberg) mit Neska auf dem Bronzerang landete.

Auf Level B wird Schritt und Trab geritten. Im Dressurwettbewerb gab es hier gleich dreimal Gold für Team SOD: für Lisa Preiß (29, Baden-Württemberg) und Andrea Sperlich (56, Hamburg), beide im Sattel von Mr. Bob, sowie Markus Benter (55, Berlin) mit Kalle. Er und Andrea Sperlich konnten diesen Gold-Erfolg im Reiterwettbewerb sogar noch einmal wiederholen. Aber auch Lisa Thun (31, Schleswig-Holstein) mit Cornado und Christian Jansen (41, NRW) mit Holli gelang in Level B der Sprung aufs Treppchen, sie sicherten sich je eine Bronzemedaille.

Schritt, Trab und Galopp lauten die Anforderungen auf Level A. Cornelius Geitner (31, NRW) hatte sich mit Silva für den Start in Dressur, Reiterwettbewerb und Geschicklichkeitsreiten entschieden und durfte sich über am Ende über zwei Bronzemedaillen freuen. Der 19-jährige Amadeus Colsman (NRW), der im Regelsport Platzierungen in Vielseitigkeitsprüfungen Klasse E vorweisen kann, stand gleich dreimal auf dem Treppchen. Er und USA Dr. Z starteten mit einer Goldmedaille im Reiterwettbewerb, wurden Dritte im Geschicklichkeitsreiten und zum Abschluss gab es Silber im Springen.

(Mehr Infos zum Team SOD gibt es hier, alle Ergebnisse sind hier zu finden)

Interview mit Bettina Hoy: "Sehr berührend"

Als Botschafterin für den Reitsport war die erfolgreiche Vielseitigkeitsreiterin Bettina Hoy an zwei Tagen in Berlin, überreichte Medaillen und nahm an einer Podiumsdiskussion teil. Über ihre Eindrücke berichtet sie im Interview:

Wie sind Sie zu den Special Olympics World Games gekommen?
Bettina Hoy: „Ich wurde von Jens Nordlohne angesprochen, der sich sehr für die Special Olympics engagiert, und der mich gefrag hat, ob ich nicht Lust hätte dazuzukommen, als Botschafterin für die Reitwettbewerbe und um zusammen mit Frank Busemann die Medaillen zu vergeben. Ich hatte bisher wenig Kontakt zu Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, hatte aber Bilder gesehen von Amadeus Colsman, die mich sehr berührt haben. Er stammt aus einer Reiterfamilie und war schon letztes Jahr in Berlin am Start. Daher habe ich gerne zugesagt.

Wie haben Sie die Reiterspiele erlebt?
Hoy: „Ich war sehr gerührt, wie behutsam die Athletinnen und Athleten mit den fremden Pferden umgegangen sind. Sie reiten ja alle auf zur Verfügung gestellten Pferden. Ich muss auch meinen Hut vor den Pferden ziehen, die dadurch, dass sie so behutsam und nett behandelt wurden, wiederum auf die Reiter aufgepasst haben. Wenn mal ein Reiter ein bisschen aus dem Gleichgewicht gekommen ist, ist das Pferd gleich in die entsprechende Richtung gegangen, als wollte es sagen: Bleib du mal schön hier, setz‘ dich wieder gerade hin, ich habe dich. Das war sehr berührend mitzuerleben. Das Schöne oder Herausragende für mich am Reitsport oder an den Pferden ist ja: Das Pferd bewertet nicht. Das Pferd behandelt dich so, wie du das Pferd behandelst.“

Wo kamen die Pferde her?
Hoy: „Die kamen von überall her. Es gab vorher einen Aufruf über Social Media, wer brave Pferde zur Verfügung stellen möchte. Diesem Aufruf sind viele nachgekommen. Zwar mussten einige Pferde zwei Mal gehen, aber die Aufgaben waren sehr kurz, so dass das kein Problem war. Die Pferde, die ich gesehen habe, waren einfach toll. Sie haben das unheimlich süß gemacht, haben sich toll auf die Menschen eingestellt.“

Für jemand, der nicht dabei war: Wie kann man sich die Aufgaben vorstellen?
Hoy: „Ich habe eine Dressuraufgabe gesehen, da mussten die Reiter*innen im Schritt auf Mittellinie reiten, an bestimmen Punkten antraben und anhalten. Ähnlich wie ein Dressurreiterwettbewerb. Zum Teil wurde auswendig geritten, zum Teil mit Ansage – in allen möglichen Sprachen. Die zweite Aufgabe, die ich gesehen habe, war eine Art Reiterwettbewerb, der in der Abteilung geritten wurde. Zum Schluss wurde einzeln galoppiert, dazu haben die anderen die Bahn verlassen. Wer dran war, konnte sich aussuchen, auf welcher Hand er galoppieren wollte. Er wurde ein Zirkel im Trab geritten, dann schön am Punkt bei C angaloppiert, eine Runde herum, dann Mitte der langen und kurzen Seite wieder halten. Die Pferde mussten dabei ruhig stehen bleiben und die Reiter mussten zeigen, dass sie mit ruhiger Hand reiten. Bewertet wurde auch die Hilfengebung. Wenn man das live erlebt hat, war das schon sehr beeindruckend.

Was hat Sie besonders beeindruckt?
Hoy: Die pure Freude der Athletinnen und Athleten, mit dem Pferd zusammen zu sein und mit dem Pferd etwas gemeinsam zu erleben. Es ging weniger um die Leistung. Natürlich wollten sie alle alles gut machen, aber primär ging es doch darum, dabei zu sein, mit den anderen Athleten zusammen zu sein und einfach nur darum, eine Partnerschaft mit Pferd zu bilden.“

Ein wichtiges Ziel der Special Olympics World Games ist die Inklusion von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in unseren Alltag und in den Sport? Hat sich nach Ihrem Besuch in Berlin etwas an Ihrer Einstellung geändert?
Hoy: „Ich hatte während meiner Zeit als Reiter am DOKR-Bundestützpunkt in Warendorf natürlich Kontakt mit unseren Top-Parareitern, aber noch nie mit Reitern mit geistiger Beeinträchtigung. Zum Nachdenken gebracht hat mich vor allem ein Satz der Schwimmerin Claudia Göbel. Sie ist Aktivensprecherin des Landesverbandes Berlin-Brandenburg und war am Abend bei einer Podiumsdiskussion dabei, an der ich auch teilgenommen habe. Sie sagte: „Nur, weil wir alles ganz langsam machen, heißt das ja nicht, dass wir doof sind.“ Bei uns muss heutzutage ja immer alles schnell, schnell gehen und wir neigen leider dazu, alles und alle schnell in irgendeine Schublade zu stecken.“

Welche Wünsche und Anregungen nehmen Sie mit aus Berlin?
Hoy: „Es gibt viele Kinder mit Beeinträchtigung, die gerne Reiten lernen möchten. Aber wenn sie in einen normalen Reitverein kommen, heißt die Antwort schnell nein. Zum einen aus versicherungstechnischen Gründen, aber auch weil sich die meisten damit überfordert fühlen. Wir – dazu zähle ich mich auch – wissen nicht, wie wir mit Reitern mit Beeinträchtigung umgehen sollen, weil da einfach die Ausbildung fehlt. Wir sprechen ja viel über Inklusion. Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass man das Thema im Rahmen der Trainer-, Pferdewirt- oder Pferdewirtschaftsmeisterausbildung zumindest einmal anreißt, auf Fortbildungsmöglichkeiten hinweist. Nicht jeder kann oder will später in den Hochleistungssport und ich glaube, dass hier ein großer Bedarf besteht.“ fn-press/Hb

 

 

Stand: 26.06.2023