Deutsche Reiterliche Vereinigung
02.09.2015 | 16:30 Uhr | fn-press

EM Aachen: Medaillenregen für deutsche Voltigierer

Deutsche Pferdeakrobaten sammelten zweimal Gold, dreimal Silber und einmal Bronze in Aachen

Aachen (fn-press). Medaillenregen für die deutschen Voltigierer bei den Europameisterschaften in Aachen: Mit sechs Medaillen waren die Pferdeakrobaten von Bundestrainerin Ulla Ramge und Disziplintrainer Kai Vorberg die erfolgreichste Disziplin der Multi-EM in Aachen. Für eine Sensation sorgte Jannis Drewell (Steinhagen) mit dem Sieg bei den Herren bei seinem ersten Championat. Silber holten Thomas Brüsewitz (Garbsen), das Pas-de-Deux Pia Engelberty und Torben Jacobs (Kür) sowie Corinna Knauf (Köln) bei den Damen. Bronze gab es für Viktor Brüsewitz (Garbsen). Darüber hinaus gewannen die Weltmeister aus Neuss-Grimlinghausen nach einem dramatischen Finale erneut Gold.

Die Mission Titelverteidigung ist ihnen geglückt: Zwar mussten sich die Voltigierer vom RSV Neuss-Grimlinghausen – Julia Dammer, Janika Derks, Leonie Falkenberg, Johannes Kay, Mona Pavetic und Pauline Riedl – in der finalen Kür mit ihrer Hannoveraner-Fuchsstute Delia FRH mit 8,863 Punkten knapp der französischen Equipe geschlagen geben (8,877). Im Gesamtranking sicherte sich die Mannschaft von Trainerin und Longenführerin Jessica Lichtenberg aber souverän das edelste aller Edelmetalle. Mit 8,597 Punkten nach drei Umläufen distanzierten die Rheinländer deutlich die Mannschaften aus der Schweiz (8,104) sowie Frankreich (8,062) und Österreich (7,847).

Das Bundestrainergespann, die Physiotherapeuten, die Pferdepfleger und die mitgereisten Fans – alle fieberten mit, als die Mannschaft vom Nixhof zur letzten der drei Umläufe in den Zirkel im mit 6.500 Zuschauern vollbesetzten Deutsche-Bank-Stadion einlief. Begleitet von zahlreichen Kamerateams lastete der Druck eindeutig auf den Schultern der amtierenden Welt- und Europameister. Zum Schrecken der heimischen Fanscharen unterliefen den Neussern in ihrer vierminütigen Choreografie, die sie noch am Freitag nahezu in Perfektion gezeigt hatten, gleich mehrere Patzer. Zunächst konnte Janika Derks einen Flic Flac nicht sicher landen und verzeichnete die erste Bodenberührung. Wenig später musste auch Pauline Riedl bei einem Abgang in den Sand greifen, was erneuten Abzug vom sechsköpfigen Richterkollegium mit sich brachte. Im dritten Dreierblock der Kür rutschte Leonie Falkenberg dann bei einem einbeinigen Stehen auf der Schulter von Janika Derks unglücklich ab und musste das Pferd unfreiwillig verlassen. Die Truppe reagierte jedoch höchst professionell – turnte weiter, als ob nichts gewesen wäre. Wenig später funktioniert dann noch eine Doppel-Kombination von Johannes Kay und Julia Dammer nicht zu einhundert Prozent wie geplant. Ein Highlight des Schlussteils – ein geworfener und wieder aufgefangener Vorwärts-Salto von Mona Pavetic – konnte Kay gerade noch sichern. Obwohl der Rest der Darbietung, in der die Neusser die Landung auf der Erde interpretieren, sehr emotional und auf den Punkt geturnt war, sah man den Teammitgliedern die Enttäuschung beim Auslauf deutlich an. „Ich habe nach jedem kleinen Fehler mitgerechnet, ob es noch reichen kann. Ich war mir am Ende nicht mehr ganz sicher“, erzählte Bundestrainerin Ulla Ramge.

Während der Ergebnisbekanntgabe standen die Neusser dann in der Kiss-and Cry-Area – die Zuschauer heiterten die beste deutsche Mannschaft mit anhaltenden Jubelrufen und Laola-Wellen auf. Beeindruckend: Die deutschen Fans hatten sich im Vorfeld über die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter auf einen „Dresscode“ geeinigt. Der lautete: schwarz (Nordtribüne), rot (West) gold (Süd). Die Noten offenbarten schließlich Rang eins. Doch da die Schweizer aufgrund der Auslosung der Startreihenfolge erst nach den Deutschen antraten, musste die Mannschaft noch zittern – ehe sie in Jubel ausbrach.

Ob der Druck angesichts der Patzer am Ende zu groß war, wurde Coach Lichtenberg bei der Pressekonferenz von den Journalisten gefragt. „Nein, wir fühlten uns eher beflügelt von der Atmosphäre. Man muss aber auch sagen, dass das Niveau im Voltigiersport in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Die Elemente werden immer schwerer. Da passieren leider auch mal Fehler.“ Gewünscht hatte sich die 34-Jährige ein Traumfinale. „Der Tag heute war aber leider nicht so großartig.“

Für Bundestrainerin Ulla Ramge lag ein „unglaubliches Knistern in der Luft“. Und damit mussten alle Mannschaften umgehen. Zum Glück der Neusser kamen auch die stärksten Konkurrenz-Teams mit der unglaublich brenzligen Situation nicht zurecht. Allen drei Equipes, die auf den Medaillenrängen in das Kürfinale gegangen waren, unterliefen Fehler, Stürze und Wackler. Besonders hart traf es die Österreicher vom Verein Wildegg, die lediglich 7,669 Zähler kassierten und vom Bronzerang auf Platz vier rutschten. Auch Lütisburg, der bis dato stärkste Gegner, hatte mehrere Totalausfälle und ging mit einer enttäuschenden Wertung von 7,964 aus dem Showdown. „Eigentlich können meine Voltigierer diese Kür auf einem Esel turnen. Unser Pferd Will be Good lief gut, aber es hat doch nicht geklappt. Wir haben auch noch keine Erklärung, warum“, kommentierte Trainerin Monika Winkler-Bischofsberger. Nur knapp konnten die Eidgenossen die Silbermedaille halten. Sieger des Tages waren die Franzosen, die mit ihrer „Ice World-Kür“ nicht nur den Sieg des Kürumlaufs, sondern auch wie schon bei den Weltreiterspielen in Caen Bronze eroberten. „Aachen ist einfach das schönsten Turnier der Welt“, sagte Trainer Fabrice Holzberger. Dem pflichtete auch Lichtenberg bei, die mit ihrer Truppe die dritte Championtsmedaille in Folge geholt hatte: „Wir lieben dieses Stadion. Gerade nach den Weltreiterspielen 2006 war es noch einmal ein besonders emotionales Highlight, hier zu starten.“

Medaille für „Jeanne d’Arc“ Knauf 
Ihre erste Medaille für Deutschland holte Corinna Knauf. Die 22-Jährige ging mit ihrer Schwester und Longenführerin Alexandra Knauf als eindeutige Kürsiegerin aus dem Championat hervor. Als französische Nationalheldin Jeanne d’Arc überzeugte sie Richter und Publikum gleichermaßen. Und auch die Pflicht hatte das Gespann vom Voltigierverein Köln-Dünnwald zum Auftakt für sich entschieden. Damit triumphierte die auszubildende zahnmedizinische Assistentin in drei von vier Durchgängen. Lediglich der fünfte Platz im Technikprogramm hinderte die Rheinländer mit ihrer Stute Fabiola am Titelgewinn. Enttäuscht war Knauf aber nicht. „Für mich ist hier definitiv ein Traum in Erfüllung gegangen.“

Den Sieg holte die 29-jährige Simone Jäiser. Die Schweizerin lag in der Endabrechnung bei 8,321 Punkten. Knauf folgte mit 8,28. Rang drei ging an die amtierende Weltcup-Siegerin Lisa Wild (8,207) aus Österreich. Die weiteren deutschen Vertreterinnen komplettierten das starke Abschneiden der deutschen Equipe: Christine Kuhirt aus Haan landete auf dem Rücken von Fuzzy (Longe: Stefan Lotzmann) mit 8,109 Punkten auf Platz vier. Kristina Boe aus Hamburg voltigierte mit Highlander (Winnie Schlüter) auf Rang sieben und kam im Kürfinale auf Rang vier.

Deutsche Herren gewinnen alle Medaillen 
Gold, Silber und Bronze für Deutschland in einem Wettbewerb – „dieses Resultat gab es zuletzt 2005“, erinnert sich Co-Bundestrainer Kai Vorberg, der selbst 2007 für den letzten deutschen EM-Titel der Herrenkonkurrenz gesorgt hatte. „Ich hatte auf drei Medaillen bei den Herren gehofft“, erklärt die Bundestrainerin Ulla Ramge. „Wir wussten, dass es möglich war. Aber dass es jetzt tatsächlich so gekommen ist, das ist unglaublich.“

In Aachen erfüllten sich nun Jannis Drewell sowie Thomas und Viktor Brüsewitz ihre Träume von der EM-Medaille im eigenen Land. Nach einem spannenden Dreikampf über vier Umläufe triumphierte der 24-jährige Championats-Neuling Drewell mit seinem Pferd Diabolus und seiner Mutter Simone Drewell an der Longe am Ende in seiner Rolle als Shaolin-Mönch mit dem erneuten Kürsieg. Im Technikprogramm am Morgen hatte er mit Rang zwei den Grundstein zu Gold gelegt. 8,369 Punkte verbuchte der Westfale in der Totalen – und verwies damit seinen Bundeskader-Kollegen Thomas Brüsewitz mit Airbus (Longe: Irina Lenkeit) auf Rang zwei (8,343). Der 21-Jährige hatte das Technikprogramm gewonnen und hätte als erster Voltigierer den kontinentalen Titel sowohl bei den Junioren als auch den Senioren perfekt machen können. Doch der Mann vom Landesverband Hannover kam schließlich im Finale mit seiner Kür zum Thema „Der gestiefelte Kater“ nicht hundert Prozent optimal durch das Programm. Auch Viktor Brüsewitz verbuchte kleine Unsicherheiten – schaffte aber mit Rockard H und Winnie Schlüter dennoch den souveränen erneuten Sprung auf das Treppchen. Bereits 2011 hatte er EM-Bronze in Le Mans gewonnen.

„Der Sprecher machte es so spannend mit den Noten. Als mir unsere Bundestrainerin Ulla Ramge ins Ohr flüsterte, dass ich Europameister bin, konnte ich es überhaupt nicht glauben“, gab der Sportsoldat Drewell zwischen Lachen und Weinen zu Protokoll, nachdem er mit Deutschland-Fahne rasend, jubelnd und tobend eine gebührende Ehrenrunde durch das Deutsche-Bank-Stadion gedreht hatte. „Die Schärpe ziehe ich jetzt erst mal nicht mehr aus“, brachte er fassungslos über die Lippen. Dass auch noch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen persönlich zum Gratulieren im Deutsche Bank Stadion aufgetaucht war, hatte den Europameister tief beeindruckt. „In den vergangenen Jahren bin ich als vierter Mann immer knapp am Championat vorbeigerutscht. Seit einem Jahr bin ich Sportsoldat und kann jetzt jeden Tag trainieren. Ich glaube, das hat den Ausschlag gegeben, dass ich noch etwas besser geworden bin.“

Glücklich zeigte sich auch Thomas Brüsewitz, der vor der finalen Kür noch knapp in Führung lag und aufgrund der Auslosung als Erster der drei Deutschen in den Zirkel einlaufen musste. „Ich war wohl etwas zu entspannt“ sagte er. „Der ganze Wettbewerb war völlig verrückt – fantastisch“, betonte der Silbermedaillengewinner. Nach zwei Medaillen bei den Junioren sei das nun die erste „richtige“ Medaille für ihn. „Für uns hier in Aachen bei der Europameisterschaft zu starten, das war der Wahnsinn.“ Auch sein Bruder Viktor war restlos glücklich: „Nach der Pflicht war ich sehr zufrieden. Die hat nahezu perfekt geklappt, da war ich selber fast überrascht“, berichtete er In der Kür habe es leider nicht so hingehauen. „Deshalb wollte ich heute noch einmal zeigen, was ich kann. Das habe ich getan, so gut ich konnte.“

Kai Vorberg, der Disziplintrainer der deutschen Voltigierer, freute sich über „seine“ Herren und fügte hinzu: „Dieses Jahr hatten wir tatsächlich fünf bis sechs Anwärter für die Europameisterschaften. Und je stärker die Konkurrenz ist, umso besser wird man bekanntlich.“

Erneut Silber für die Vizeweltmeister
Eine weitere Medaille für Deutschland gab es im Pas-de-Deux. Hier begeisterten die Kölner Pia Engelberty und Torben Jacobs einmal mehr mit ihrer Vampir-Kür auf dem Rücken von Danny Boy (Longe: Patric Looser) und erhielten die Top-Note 8,913. Wenig später liefen die führenden Österreicher Jasmin Lindner und Lukas Wacha ein – und patzten gleich mehrmals in ihrer Choreografie. Dennoch gab es 8,99 Punkte vom Richterkollegium – und damit den erneuten Gesamtsieg mit 8,853 Punkten vor Engelberty/Jacobs (8,725). Die amtierenden Vize-Weltmeister konnten die Medaille aber dennoch genießen. Edelmetall beim „Heimspiel“ war für die Pferdeakrobaten das erklärte Ziel. „Als ich in der Halle stand und den Jubel hörte, dachte ich nur: Diesen Moment muss ich mir merken und für den Rest meines Leben abspeichern“, sagte Engelberty. „Wir haben uns von dem Aachener Publikum zur Silbermedaille tragen lassen“, kommentierte Jacobs. Die Bronzemedaille ging an Evelyn Freund und Stefanie Millinger aus Österreich (8,557), die das zweite deutsche Paar – Gera-Marie Grün und Justin Van Gerven – auf Rang vier verwiesen (8,297). Die Kölner waren mit Danny Boy als letztes Duo an den Start gegangen, konnten das ersehnte Podest aber nicht mehr erklimmen und wurden wie 2014 Vierte. „Sie haben heute wirklich gekämpft und sind natürlich jetzt im ersten Moment ein bisschen enttäuscht“, sagte Vorberg, „aber spätestens nach der EM kommt der Stolz auf die tolle Gesamtleistung zurück.“ FN/Daniel Kaiser

Stand: 02.09.2015