Deutsche Reiterliche Vereinigung
18.06.2020 | 14:00 Uhr | fn-press

Digitale FN-Bildungskonferenz mit 600 Teilnehmern

Krise als Chance: Digitalisierungsschub in der Pferdesportausbildung

Münster (fn-press). Das war ein prall gefüllter Digital-Abend! Die jährliche Bildungskonferenz, immerhin die 13. der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), sollte eigentlich am Hofgut Albführen in Dettighofen in Südbaden stattfinden. Corona machte dem Plan einen Strich durch die Rechnung. Die FN reagierte jedoch, um dieses Instrument zur Förderung der Ausbilder nicht aufgeben zu müssen. Dank Internet, entsprechender Software, Infrastruktur und hilfsbereiten Geistern hinter den Kulissen sowie Referenten am Mikrofon kam die 13. Bildungskonferenz der FN als „Webinar“ Mitte Juni diesmal als vierstündige Fortbildung zu den rund 600 Teilnehmern nach Hause.

Sechs hochkarätige Referentinnen und Referenten standen auf dem Programm, durch das Moderator Christoph Hess führte. Eingebettet in die Vorträge wurden die Namen von 261 Trainerabsolventen verlesen, da sie nicht persönlich vor Ort mit der Lütke-Westhues-Auszeichnung geehrt werden konnten. Diese Digital-Ehrung diente zugleich als kleine Pause und Erholung für die hohe Frequenz der Konzentration der Teilnehmer.

Thies Kaspareit, Leiter der FN-Abteilung Ausbildung, schilderte in seinem Beitrag zu Beginn des Web-Seminars die „Neuen Herausforderungen und neuen Chancen für Trainer und Trainerinnen – Ausbildung in Coronazeiten“. Die Zeit der Notbewegung der Pferde sei überstanden, sagte Kaspareit und schilderte die Folgen der Corona-Pandemie: Motivationsverlust durch fehlende Ziele, ausgefallener Unterricht und fehlendes Training hätten die Pferdeleute veranlasst, sich neu zu sortieren. Kaspareit beschrieb jedoch – ganz positiv gestimmt – die Chancen, die sich aus der Corona-Zeit ergeben: Die Neudefinition von Zielen sei wichtig, die Ausbildung stehe wieder mehr im Vordergrund, man könne ohne Druck arbeiten, weil auch die Turniere ausgefallen seien. Die ruhigere Zeit könne man nutzen, die Pferde in ihrer Entwicklung genauer zu beobachten. Gerade auch das Springen profitiere von einer gewissen Gelassenheit, weil man den „Druck der Saison“ vermeiden kann. Grundsätzliches sollte im Blick bleiben, daraus ergebe sich das Ziel, sagte Kaspareit: „Da erleben wir, dass die Gelassenheit zu mehr Tiefgang führt!“ Als Ausblick auf die langsam wieder anlaufende Turnierzeit mahnte er, die klassischen Grundsätze der Reitausbildung im Auge zu behalten.

Martin Plewa, Reitmeister, ehemaliger Bundestrainer Vielseitigkeit und ehemaliger Leiter der westfälischen Reit- und Fahrschule in Münster, steuerte einen kurzweilig gestalteten Vortrag bei zum Thema: „Zeit für das Wesentliche – vielseitige Grundausbildung von Reiter und Pferd“. Plewa bekannte sich als Fan der Klassischen Ausbildung und als Vielseitigkeitsreiter, ließ aber erkennen, dass man bei der Ausbildung nicht bei „alten“ Erkenntnissen stehen bleiben dürfe, sondern sich weiterentwickeln müsse. Reiten, so Plewa, ist eine koordinative Sportart, man müsse die eigene Beweglichkeit mit und ohne Sattel schulen, dabei reichen Halle und Reitplatz nicht aus. Plewa warb eindringlich für das Reiten im Gelände. „Reiten im Gelände ist eine Marktlücke.“ Balance ist in allen Sätteln und bei allen Steigbügellängen wichtig, um ein Gefühl zu bekommen für die Bewegung und das Gleichgewicht. Sitzmängel hängen mit Mängeln an den Bewegungsabläufen zusammen. Bewegungsmuster prägen sich ein und geben Sicherheit, deshalb sei ein großes Bewegungsrepertoire wichtig. Fehlerhafte Bewegungsmuster kann man durch Übung überlagern. Und es kam der Vielseitigkeitsreiter immer wieder hervor: „Gehen Sie ins Gelände!“ Gerade für nervöse Pferde sei das gut, sie werden ruhiger und gelassener. Und zum Gelände gehört auch mal der schnelle Galopp! Reiter sollten auch das spüren, es gebe Sicherheit. Das Gleiche gilt für das Pferd durch freies Galoppieren. Selbstverständlich aber bleibe die Ausbildungsskala die eindeutige Richtschnur. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigte im Anschluss Jörg Jacobs, heutiger Leiter der Westfälischen Reit- und Fahrschule. Er sorgte dafür, dass es auch einen praktischen Teil im „Webinar“ gab. Die Kamera richtete sich dabei „live“ in die Reithalle, wo Jacobs zwei Reiterinnen mit jungen Pferden unterrichtete. Der Pferdewirtschaftsmeister demonstrierte, wie mit Bodenrickübungen und Cavalettiarbeit die harmonische Abstimmung der Hilfen sowie der Sitz und das Gleichgewicht positiv beeinflusst werden.

Dr. Gaby Bussmann, Sportpsychologin, und Caro Roost, Nachwuchsführungskraft der FN-Abteilung Ausbildung, nahmen sich der „Visualisierung – mentale Techniken als sinnvolle Ergänzung zum praktischen Training“ an. Was sich so theoretisch anhörte, erschloss sich als sehr „geschickter psychologischer Trick“, dessen sich jedermann bedienen kann, wenn er nur wollte. Die Methode der Visualisierung helfe weiter, vermittle Sicherheit und helfe, Angst zu überwinden. Visualisierung könne man erlernen. Müsse sie aber auch trainieren. Mentales und praktisches Training im Wechsel sind wirksam. Dieses „Vorstellungstraining“, also das gedankliche Durchgehen eines Rittes, einer Aufgabe, führe zum Ziel: „Was will ich tun?“ Alles zusammen ließe sich dann auch mit Hilfe von Videoaufnahmen analysieren. Ann-Catrin Bierlein, Westbevern, Junioren-Europameisterin von 2019 in der Vielseitigkeit, erläuterte in einem Videobeitrag, wie sie von der Visualisierung profitiere. Das Ganze könne man verschriftlichen und auf Kärtchen festhalten. Erkenntnis zum Abschluss: Die Visualisierung des gewünschten Tuns bzw. des Weges zum Ziel gilt nicht nur in der Reiterei. In allen Lebensbereichen kann Visualisierung helfen.

Hermann Grams ist Diplom-Sportlehrer und konzentrierte sich auf die „Wege der Vermittlung in Zeiten von sozialer Distanz - „Online Learning – Schreck oder Chance?“ Aufgrund der Coronakrise habe das Lernen in virtuellen Räumen zugenommen, ebenso das Lernen mit Abstand. In der Ausbildung konnte man darauf reagieren durch Digitales Lernen, zum Beispiel durch Webinare, Videokonferenzen, Blended Learning, E-Learning bis hin zum Flipped Classroom und Home Schooling. Auch wenn diese Lernformen neues Know how erfordern, so machte sich doch die Erkenntnis fest: Digitales Lernen hilft und gewährt auch in gewisser Weise Nähe. Alles wird sich zwar mehr konzentrieren und weniger Persönliches zulassen. Aber man kommt so aus der Corona-Isolation heraus.

Dass Kommunikation auch im Webinar unmittelbar möglich ist, machte Hermann Grams mit zwei Aufgaben deutlich: Er bat einmal um drei Stichpunkte der Teilnehmer über ihre „Befürchtungen oder negative Gedanken zum Thema „Online…“ und zum anderen um drei Stichworte zu „positiven Erfahrungen und Überraschungen mit online…“ Fleißig nutzten die Teilnehmer den Chat des Webinars. Und Grams hatte auf einfache Weise ein Ziel erreicht: Der Webinar-Teilnehmer ist nicht außen vor zum Zuhören verurteilt. Er mischt mit! Gleichwohl war Grams nicht einfach Befürworter der modernen Technik. Er schloss auch die „Möglichen Minuspunkte“ auf, die da lauten: kein echter Blickkontakt, Emotionen unklar, nonverbale Symbole sind anders, Bild, Ton, Mikrofon überlagern Hintergrundgeräusche normaler Kommunikation usw. Dadurch steige die kognitive Belastung und die Aufmerksamkeitsspanne sinkt.

Zugleich aber bietet die digitale Seite der Medaille Herausforderungen, denen man sich eigentlich nicht entziehen sollte: Neues Lernen, didaktische Reduktion, Kompetenzorientierung, Kernbotschaften, Pausen, Fragen, Videos, Kommentare von Teilnehmern, sogar Gruppenarbeit sei möglich. Alles zusammen schaffe eine „digitale Nähe“. Dieses „Neue Lernen“ verlange neue Kompetenzen. Es genüge nicht, „Power Points mit betreutem Lesen“ zu präsentierten. Vielmehr müsse der Lernstoff handlungs- und kompetenzorientiert reduziert werden, Aufgaben müssten neu formuliert und gestellt werden, Ausbilder müssen digitale Methoden kennen und einsetzen, Präsenzunterricht und digitales Lernen müssen verbunden werden und das alles klappt, wenn Lehrkräfte eingeladen werden, sich fortzubilden. Fazit: Auch dieser Beitrag zeigte einmal mehr, dass Corona Veränderungen mit sich bringt, die mehr als nur den Pferdesport beeinflussen – unser Leben, Lernen, Ausbildung und Handeln.

Eva Lempa-Röller, Fachreferentin der FN-Abteilung Ausbildung und Katrin Krage, Mitarbeiterin der Abteilung Ausbildung der FN, stellten „Aktuelle Projekte in der Traineraus- und -fortbildung vor sowie Ideen zur Umsetzung vor Ort.“ Der Lockdown habe überall für Stillstand gesorgt. „Die FN hat sich damit nicht abgefunden!“ Vielmehr seien konkrete Konzepte entwickelt worden, Behörden habe man mit ausführlicher Sachinformation unterstützt, die Vereine konnten sich tagesaktuell bei FN über Corona informieren, und schließlich habe sich auch die Planung grundlegend verändert, weil alle bisherigen Pläne für die Ausbildungsangebote weggebrochen waren. Das alles führe zu einer neu empfundenen Motivation.

Eine neue Idee zur Ausbildung vor Ort in den Vereinen und Betrieben hat man, gestand Eva Lempa-Röller, beim Deutschen Fußballbund (DFB) abgekupfert: Das PM-Mobil. Was steckt dahinter? Die FN schickt auf Wunsch zwei in der Trainerausbildung versierte Ausbilder und einen Vertreter des Landesverbandes. Drei bis vier Stunden verweilen diese im Verein/Betrieb und beobachten, beraten, geben Feedback und informieren über aktuelle Entwicklungen in der Ausbildung. Der Austausch sei hier das wesentliche Ziel. Das Angebot starte im August und sei für alle Vereine und Betriebe der FN kostenfrei. Der Ausbilder vor Ort müsse sich bei der FN einfach dafür anmelden. Das Konzept PM-Mobil habe inzwischen so überzeugt, dass es nicht nur von den Persönlichen Mitgliedern (PM) sondern auch vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gefördert wird. Katrin Krage betonte, dass die FN konkrete Konzepte erarbeite und die Ausbildungs-Prüfungs-Ordnung (APO) auf die Zukunft eingestellt sei. Das Blended Learning werde weiter ausgebaut und die Planungen an die Gegebenheiten angepasst. Am 15. Juli starte im Übrigen ein Webinar zum neuen Pferdeführerschein. Abschließend stellte Katrin Krage das neue „Trainerschild“ vor, das jedem Trainer nach erfolgreicher Ausbildung übergeben wird, personalisiert mit einem entsprechenden Aufkleber. Auch Trainer früherer Jahrgänge dürfen sich das Trainerschild bei der FN bestellen. Martin Stellberger/Bo

Stand: 25.06.2020